Dauernde Verstöße gegen die Hausordnung – Überwachungskamera gerechtfertigt?

    Das Anbringen einer Videokamera ist ein “Dauerbrenner“ vor Deutschlands Zivilgerichten, insbesondere im Bereich des Miet- und Wohnungseigentumsrechts. Der Grund ist naheliegend:

    Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen wegen Störungen und Sachbeschädigungen, deren Verursacher nicht ermittelt werden können.

    So auch in einem Verfahren, das vor dem Landgericht München verhandelt wurde:
    In der Wohnanlage lebten 70 Mietparteien. Am Hauseingang befand sich ein Hinweis, wonach die Wohnanlage durch Videokameras überwacht wird. Zudem war ein Informationsblatt ausgehängt, auf welchem der Grund der Videoüberwachung genannt und auf eine Speicherung der Filme für einen Zeitraum von maximal 72 Stunden hingewiesen wurde. Auch Hinweise zum Datenschutz waren vorhanden.

    Ein Vermieter und sein Mieter stritten nun über einen Anspruch des Mieters gegen den Vermieter, fünf Überwachungskameras, nämlich im Hausflur (gerichtet auf den Hauseingang), im Erdgeschoss (gerichtet auf die Briefkastenanlage), im Flur des Untergeschosses (gerichtet auf die Türen zu den Kellerräumen und zur Waschküche) sowie im Müllraum (gerichtet auf die Mülltonnen und die dahinterliegende Tür nach draußen), wieder zu entfernen.

    Der Mieter war der Ansicht, dass er einen Anspruch auf Entfernung der installierten Kameras gemäß §§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB habe. Er sei durch die Anbringung der Kameras in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

    Der Vermieter war der Auffassung, dass die Videoüberwachung berechtigt sei, da durch den Hauseingang regelmäßig Fremde das Haus unberechtigt betreten würden und im Briefkastenbereich Abfall hinterlassen hätten. Auch seien Post und Pakete entwendet sowie im Kellerbereich Sperrmüll und sonstiger Unrat abgestellt worden. Ferner sei Müll außerhalb der Müllbehälter abgestellt worden, was zu Ungezieferbefall und Geruchsbelästigungen im gesamten Anwesen geführt habe. In der Waschküche seien zudem die Geldbehältnisse für Waschmaschinen aufgebrochen worden.

    Das LG München I entschied den Rechtsstreit dennoch zu Gunsten des Mieters. Soweit der Vermieter argumentierte, dass Verstöße gegen die Hausordnung und nicht ordnungsgemäße Durchführung der Mülltrennung durch die Installation der Kameras abgewendet werden sollten, folgte das Gericht dieser Ansicht nicht. Zwar seien diese Verstöße, wie auch die unsachgemäße Müllentsorgung, durchaus lästig und unangenehm und auch mit nachteiligen finanziellen Folgen verbunden.

    Insgesamt sah das Gericht diese Beeinträchtigungen aber als nicht verhältnismäßig an und die Installation der Kameras sei hierdurch nicht gerechtfertigt. Geruchsbelästigungen, Vermüllungen und Ungezieferbefall könnten durch regelmäßige Kontrollen des Hausmeisters vermieden werden; so das Gericht. Auch eine Verhinderung und Aufklärung von Straftaten seien kein Rechtfertigungsgrund für die Installation der Videokameras. Zwar könnte die Anbringung von Kameras durchaus präventive Wirkung in Bezug auf die Begehung von Straftatbeständen, wie z.B. Hausfriedensbruch, Diebstahl und Sachbeschädigung haben. Aber die bislang verwirklichten Verstöße unbekannter Personen waren nach Ansicht des Gerichts weder in qualitativer noch quantitativer Hinsicht schwergewichtig genug um eine Überwachung zu rechtfertigen. Es handelte sich, so das Gericht, eher um gelegentliche Bagatellen (LG München I, Beschluss v. 07.06.22, Az. 14 S 2185/22).
    Die vollständige Entscheidung im Wortlaut finden Sie hier.

     

     

    Was sagt der Experte?

    Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:

     

    Wann sind Videoaufnahmen erlaubt?

    Eine Überwachung des eigenen privaten Umfeldes (Grundstück, Wohnung) ist regelmäßig zulässig. Werden fremde Personen innerhalb dieses rein privaten Umfeldes überwacht, ist dies nur erlaubt, wenn die betroffenen Personen dem ausdrücklich oder durch schlüssiges Verhalten zugestimmt haben.

    Innerhalb der Grundstücksgrenzen, also beispielsweise im Eingangsbereich zur Haustür, ist deshalb eine Videoüberwachung gestattet.

    Wer Angst vor Dieben oder anderen unwillkommenen Eindringlingen hat, kann sein Grundstück videoüberwachen. Das ist grundsätzlich erlaubt. Eine Videokamera kann durch Abschreckung vor Einbruch und Sachbeschädigung schützen oder Beweise im Falle einer Straftat sammeln.

    Das Nachbargrundstück darf in keinem Fall gefilmt werden.

     

    Beispiele aus der Rechtsprechung:

    „Sachlich begründete Interessen“

    Das Landgericht Duisburg (Urteil vom 17.10.2016, Az. 3 O 381/15) hat entschieden, dass eine Person keine Handy-Aufnahmen von seinem Nachbarn anfertigen darf, solange keine sachlich begründeten Interessen vorliegen.

     

    Schon die Möglichkeit einer Überwachung ist maßgebend

    Eine an einer Hauswand installierte Videokamera kann dazu führen, dass das Persönlichkeitsrecht der Nachbarn verletzt ist. Dies hat die Berufungskammer des Landgerichts Frankenthal in einem Nachbarstreit entschieden. Dabei genügt nach Auffassung der Kammer bereits die Möglichkeit, dass die Kamera auch Bereiche des Nachbargrundstücks erfasst.

    Nachdem einer von zwei Nachbarn das unbefugte Betreten seines Grundstücks befürchtete, montierte er eine Videokamera an seiner Giebelwand. Dies wollten die Nachbarn nicht akzeptieren, da sie unzulässige Einblicke in ihr Grundstück und eine Verletzung ihrer Privatsphäre befürchteten. Das in erster Instanz angerufene Amtsgericht Neustadt a. d. Weinstraße bestätigte ihre Ansicht und untersagte die Montage der Kameras.

    Denn allein dadurch, dass das Gerät vorhanden ist, könne ein „Überwachungsdruck“ und damit eine Beeinträchtigung der Nachbarn entstehen. In einer solchen Situation müsse die Kamera am Nachbarhaus wieder entfernt werden, so die Kammer.

    Die Berufungskammer hat das hiergegen eingelegte Rechtsmittel nunmehr zurückgewiesen. Die Kammer hat in der Entscheidung deutlich gemacht, dass die Überwachung durch eine Kamera nur zulässig ist, wenn sie auf das eigene Grundstück beschränkt ist. Eine Videoanlage, die eine Einsicht in das Grundstück der Nachbarn ermöglicht, ist unzulässig, denn sie verletzt deren verfassungsrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht.

    Obwohl sich im konkreten Fall vor Gericht nicht sicher nachweisen ließ, dass die Überwachungsanlage tatsächlich auch auf das Nachbargrundstück ausgerichtet war, hielt die Kammer an dieser Auffassung fest. Hierbei stellte sie maßgeblich darauf ab, dass es ohne großen Aufwand möglich gewesen sei, die Blickwinkel in Richtung des Nachbargrundstücks zu lenken und dieses zu überwachen. Schließlich seien die Parteien bereits seit Jahrzehnten zerstritten und die Überwachungsanlage sollte gerade „vor den Nachbarn schützen“.

    Einen solchen Überwachungsdruck müssten die Nachbarn nicht hinnehmen. Sie können nach dem Urteil nun auch verlangen, dass solche Kameras in der Zukunft nicht mehr installiert werden. (AG Neustadt, Urteil vom 17.07.2017, Az. 4 C 3/17 LG Frankenthal, Urteil vom 16.12.2020, Az. 2 S 195/19)

     

    Unerlaubte Untervermietung

    Das Aufdecken einer unerlaubten Untervermietung per heimlicher Videoüberwachung mit Aufzeichnung ist unzulässig. Das hat das Landgericht Berlin entschieden.

    In Berlin hatte eine Vermieterin den Mietern zweier Wohnungen im Januar und Februar 2018 insgesamt dreimal wegen unerlaubter Gebrauchsüberlassung an Dritte sowohl außerordentlich als auch ordentlich gekündigt. Die Mieter behaupteten vehement, nicht unerlaubt untervermietet zu haben.

    Also klagte die Vermieterin auf Räumung und Herausgabe der Wohnungen. Vor Gericht spielte sie ihren vermeintlichen Trumpf aus: Das Ergebnis einer heimlich über mehrere Wochen durchgeführten Videoüberwachung der Wohnungseingangsbereiche.

     

    „Beweismittel unrechtmäßig erlangt“

    Während das Amtsgericht der Klage stattgab, entschied das Landgericht zugunsten der Mieter. Eine Tatsache, die niemanden überraschen dürfte, der sich ein wenig mit Datenschutz auskennt. Wer eine Videokamera im Hausflur eines Mehrfamilienhauses aufstellen will, braucht die Zustimmung aller Mietparteien. Das zeigt schon, dass der Plan der heimlichen Videoüberwachung nicht aufgehen konnte.

    So entschied das Landgericht folgerichtig, dass der Vermieterin kein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung zustehe. Denn sie habe vor Gericht nicht darlegen können, dass eine unerlaubte Gebrauchsüberlassung vorliegt. Die Videoaufnahmen wurden nicht beachtet, da sie grundrechtswidrig erlangt worden seien und zudem einen ungerechtfertigten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mieter darstellen.

     

    Nachweis durch Scheinanmietung

    Die Richter vertraten die Ansicht, die Vermieterin hätte auch zu wirkungsvollen, legalen Mitteln greifen können, um den Verdacht einer Vertragsverletzung ihrer Mieter nachzuweisen. So hätte sie Nachbarn, Hausmeister oder andere Dritte befragen können. Selbst eine gezielte Scheinanmietung wäre möglich gewesen.
    (Landgericht Berlin, Urteil vom 13.02.2020 – 67 S 369/18)

    Fachanwalt Wolfgang Reineke