„Rote Karte“ wenn der Vermieter als „asozial“ bezeichnet wird?

    Urteil des Amtsgerichts Wedding vom 18.2.2022

    Wann rechtfertigt die negative Äußerung eines Mieters über seinen Vermieter eine Kündigung? Darf ein Mieter das Verhalten seines Vermieters kritisieren und es sogar als „asozial“ bezeichnen? Das stellte das Amtsgericht Wedding im Februar 2022 einmal mehr klar.

     

    Das war der Sachverhalt

    Im vom Amtsgericht Wedding entschiedenen Rechtsstreit hatte ein Mieter über seinen Vermieter wörtlich geäußert: „Ich finde das Verhalten von M echt asozial“. Der Mieter hatte von seinem Vermieter ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 445 m² gemietet. Laut Mietvertrag sollte eine Untervermietung oder sonstige Nutzung durch andere Personen nur mit Zustimmung des Vermieters möglich sein. Nach Abschluss des Mietvertrages nahm der Mieter seine Mutter im Haus auf.

    Der Vermieter war damit nicht einverstanden und kritisierte die Aufnahme der Mutter. Der Mieter äußerte hierzu dann öffentlich: „Ich finde das Verhalten von M. echt asozial“. Als der Vermieter hiervon erfuhr, kündigte er das Mietverhältnis fristlos. Da der Mieter nicht freiwillig auszog, reichte der Vermieter eine Räumungsklage ein.

    Ohne Erfolg! Das AG Wedding entschied den Rechtsstreit zu Gunsten des Mieters da es sich dabei um ein „Werturteil“ und keine Beleidigung gehandelt habe.

    Die Äußerung des Mieters stellte keinen wichtigen Grund für eine Kündigung dar. Die Formulierung „Ich finde …“ stellte erkennbar ein Werturteil dar und war durch die Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gedeckt. An der Aufnahme der Mutter des Mieters war zudem nichts zu bemängeln, weil der Mieter eine Angehörige aufgenommen hatte (AG Wedding, Urteil v. 18.02.22, Az. 11 C 73/21).

    Die Kündigung, so das Gericht, war deshalb rechtswidrig und unwirksam, weil kein ausreichender Kündigungsgrund vorlag.

    Das ganze Urteil lesen Sie hier.

     

    Beleidigung, Werturteil oder Schmähkritik?

    Das Gericht war der Auffassung, dass es sich angesichts der Wortwahl “ich finde” um ein von der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gedecktes Werturteil handle. Eine Äußerung nehme den Charakter einer unzulässigen Schmähkritik erst dann an, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern – jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik – die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe (BVerfG, Beschluss vom 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15-

    Das ganze Urteil des Bundesverfassungsgerichts lesen Sie hier.

     

    Ob die Äußerung so gefallen war – darauf kam es nach Ansicht des Gerichts nicht an

    Da sich die behauptete Äußerung darauf beschränke, das Verhalten der Klägerin zu 1) als “asozial” zu beschreiben und die Äußerung nach dem klägerischen Vortrag im Zusammenhang mit einer nicht gewährten Mietminderung gefallen sein soll, könne nicht von einem Charakter einer „unzulässigen Schmähkritik“ ausgegangen werden.

    In eine Beweisaufnahme musste mangels Entscheidungserheblichkeit nicht eingetreten werden.

     

     

    Was sagt der Experte?

    Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:

     

    Im Unmut oder Streit zwischen Vermieter und Mieter liegen schonmal die Nerven blank und es fallen Ausdrücke, die mancher Mieter schon alsbald bereut, weil ihm nicht nur eine Strafanzeige, sondern auch eine Kündigung droht. Die Zahl der insoweit ergangenen Gerichtsentscheidungen ist nicht zu überblicken. Aber nicht jeder Kraftausdruck ist auch gleich eine Beleidigung. Wie so oft – es kommt darauf an. Und rechtlich ist es kompliziert, sogar sehr kompliziert.

    Wer sich durch die Äußerung eines anderen beleidigt fühlt, kann grundsätzlich neben einer Strafanzeige wegen Beleidigung nach den §§ 185 ff. StGB auch zivilrechtlich Unterlassungsansprüche und gegebenenfalls auch Schadensersatzansprüche geltend machen.

    Bei derartigen Streitigkeiten findet stets eine Abwägung der Meinungsfreiheit des Äußernden, Art. 5 Abs. 1 GG, gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Verletzten, Art. 2 Abs. 1 GG statt. Während hinsichtlich unwahrer Tatsachenbehauptungen regelmäßig ein Unterlassungsanspruch gegeben ist, sind bloße Werturteile erst dann unzulässig, wenn sie die Grenze zur sog. Schmähkritik überschreiten. Da also bei Werturteilen die Meinungsfreiheit mehr an Gewicht hat, verteidigen sich bei solchen Streitigkeiten die Verletzer meist damit, dass ihre Äußerung von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen sein soll. Es kommt also dabei oft entscheidend darauf an abzugrenzen, ob es sich bei der Äußerung um eine bloße Tatsachenbehauptung oder aber um ein Werturteil gehandelt hat. Zur Unterscheidung wird darauf abgestellt, ob die Behauptung dem Beweis zugänglich ist (dann Tatsachenbehauptung) oder aber ob es sich um ein bloßes Meinen, Dafürhalten etc. handelt (dann Werturteil).

    Das OLG Celle hat zur Abgrenzung in einem Urteil vom 25.10.2012 (13 U 156/12) dazu exemplarisch ausgeführt:

    • a) Entgegen der Einschätzung des Landgerichts handelt es sich bei der beanstandeten Äußerung um eine Tatsachenbehauptung.
      Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit den Mitteln des Beweises zugänglich ist (BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 – VI ZR 120/10, juris Rn. 10). Das Werturteil wird zwar nicht allein dadurch zu einer Tatsachenbehauptung, weil – wie die Verfügungsklägerin meint – die Bewertung auf Tatsachen beruht. Eine Tatsachenbehauptung liegt dann vor, wenn bei der Äußerung aus Sicht des Empfängers die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens gegenüber den zugrunde liegenden Tatsachen in den Hintergrund treten (BGH, a. a. O., Rn.11).
    • aa) Die Verwendung von Einschüben, wie „ich meine“, „offenbar“ o. ä., kann nicht dazu führen, dass aus einer Tatsachenbehauptung eine weniger angreifbare Meinungsäußerung wird (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07, juris Rn. 18; Urteil vom 22. September 2009 – VI ZR 19/08, juris Rn. 13). Danach kann es nicht darauf ankommen, dass der Beklagte den Zusatz „befürchtet“ anbringt.
    • bb) Für die Beurteilung der Frage, ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung bzw. Werturteil einzustufen ist, bedarf es der Ermittlung des vollständigen Aussagegehalts. Denn bei Kollisionen zwischen dem Recht der Meinungsäußerungsfreiheit und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird dort, wo Tatsachenbehauptungen und Wertungen zusammenwirken, grundsätzlich der Text in seiner Gesamtheit von der Schutzwirkung des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst, weil im Fall einer engen Verknüpfung der Mitteilung von Tatsachen und ihrer Bewertung der Grundrechtsschutz der Meinungsfreiheit nicht dadurch verkürzt werden darf, dass ein tatsächliches Element aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert betrachtet wird (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 2011 – VI ZR 120/10, a. a. O. Rn. 12).
      So dürfen aus einer komplexen Äußerung nicht Sätze oder Satzteile mit tatsächlichem Gehalt herausgegriffen und als unrichtige Tatsachenbehauptung untersagt werden, wenn die Äußerung nach ihrem – zu würdigenden – Gesamtzusammenhang in den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG fallen kann und in diesem Fall eine Abwägung zwischen den verletzten Grundrechtspositionen erforderlich wird. Dabei ist zu beachten, dass sich der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG auch auf die Äußerung von Tatsachen erstreckt, soweit sie Dritten zur Meinungsbildung dienen können, sowie auf Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen und die insgesamt durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt werden (BGH, Urteil vom 3. Februar 2009 – VI ZR 36/07, juris Rn. 11).

    • cc) Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer Äußerung ist ferner darauf abzustellen, wie sie unter Berücksichtigung des allgemeinen Sprachgebrauchs von einem unvoreingenommenen Durchschnittsleser verstanden wird, wobei eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig ist, sondern auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen sind (BGH, Urteil vom 16. November 2004 – VI ZR 298/03, juris Rn. 23).

    • dd) Rechtsbegriffe bringen im Regelfall zwar ganz überwiegend die auf Wertung beruhende subjektive Beurteilung des Äußernden zum Ausdruck (vgl. Urteil vom 3. Februar 2009 – VI ZR 36/07, juris Rn. 15; Urteil vom 16. November 2004 – VI ZR 298/03, juris Rn. 24). Als Tatsachenmitteilung ist eine solche Äußerung hingegen dann zu qualifizieren, wenn die Beurteilung nicht als bloße Rechtsauffassung kenntlich gemacht ist, sondern beim Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorruft, die als solche einer Überprüfung mit den Mitteln des Beweises zugänglich sind. Hierfür ist der Kontext entscheidend, in dem der Rechtsbegriff verwendet wird (BGH, Urteil vom 16. November 2004 – VI ZR 298/03, a. a. O.).

     

    Vermietern, die meinen, eine aus ihrer Sicht beleidigende Äußerung eines Mieters sofort sanktionieren zu müssen, ist deshalb zu raten, Ruhe zu bewahren und fachanwaltlichen Rat einzuholen. Nur der Fachanwalt ist in der Lage, die im Einzelfall schwierige richtige rechtliche Entscheidung zu treffen, ob die Äußerung eines Mieters eine Kündigung rechtfertigt.

    Fachanwalt Wolfgang Reineke