Mitmieter anschwärzen und untertauchen – geht das?

    Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.2.2022

    Einen anderen Mieters anonym beim Vermieter anzeigen, wenn der Verdacht besteht, dass er ein Verstoß gegen die Gemeinschaftsregeln begeht? Es wäre eine praktische Art und Weise sich aus einer direkten Konfrontation herauszuhalten.

    Was aber, wenn der angeschwärzte Mitmieter wissen will, wer ihn angezeigt hat?

    Ein solcher Fall lag dem Bundesgerichtshof vor.

     

    Das war der Sachverhalt

    In einem Mietshaus in Baden-Württemberg informierte ein Mieter seine Vermieterin über üble Gerüche und Ungeziefer, die aus einer Wohnung im Haus kämen. Die Vermieterin inspizierte die Lage vor Ort. In der Tat machte die Wohnung des benannten Mieters einen verwahrlosten Eindruck. Ob es auch eine Geruchsbelästigung gab oder gar Ungeziefer im Hausflur herumkrabbelte, blieb später vor Gericht ungeklärt.

    Die Vermieterin verlangte vom ertappten Mieter, dass er seine Wohnung entrümpele und gründlich reinige. Dieser Aufforderung kam der Mieter nach und wollte im Gegenzug erfahren, wer in der Nachbarschaft ihn angeschwärzt habe.

     

    Vermieterin will anschwärzende Person nicht preisgeben

    Die Vermieterin sah sich aus Datenschutzgründen nicht in der Lage, diese Auskunft zu erteilen. Zudem wollte sie nicht riskieren, dass ihr künftig entsprechende Hinweise vorenthalten werden, wenn sie Namen weitergeben würde. Daraufhin zog der verärgerte Mieter vor Gericht.

    Doch sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht Ravensburg (Urteil vom 06.03.2020, Az. 2 O 363/19,) und auch das Oberlandesgericht Stuttgart wiesen die Klage ab (OLG Stuttgart – Entscheidung vom 10.12.2020 -13 U )

     


    Entscheidung des BGH

    Auskunftsinteresse überwiegt Geheimhaltungsinteresse

    Der BGH hebt das Urteil des OLG auf und verweist den Rechtsstreit dorthin zurück. Nach Meinung der Bundesrichter hat das OLG die Interessen des Mieters einerseits und die des Hinweisgebers andererseits nicht richtig abgewogen.

    Im Grundsatz kann der Mieter nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO vom Vermieter Auskunft darüber verlangen, welche personenbezogenen Daten dieser verarbeitet und zu welchem Zweck dies geschieht.

    Die Informationen über eine angebliche Belästigung durch Geruch und Ungeziefer unter Hinweis auf eine bestimmte Wohnung sind solche personenbezogenen Daten, die den Mieter betreffen; diese sind auch nicht vom Mieter selbst erhoben worden.

    Der Auskunftsanspruch aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO besteht allerdings nicht unbeschränkt, sondern kann durch Rechte und Freiheiten anderer Personen eingeschränkt sein. Letztlich sind das Auskunftsinteresse der betroffenen Person (hier: des Mieters) und das Geheimhaltungsinteresse des Hinweisgebers gegeneinander abzuwägen.

    Das Geheimhaltungsinteresse des Hinweisgebers tritt regelmäßig dann in den Hintergrund, wenn dieser wider besseres Wissen oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat. Davon ist hier allerdings nicht auszugehen. Da unklar blieb, ob die vom Hinweisgeber behaupteten Beeinträchtigungen durch Geruch und Ungeziefer tatsächlich bestanden, musste der BGH aber davon ausgehen, dass die Behauptungen des Hinweisgebers zumindest objektiv unzutreffend waren.

     

    Auskunftsinteresse überwiegt

    Auch wenn die Angaben „nur“ objektiv falsch waren, kann das Auskunftsinteresse überwiegen, nämlich dann, wenn die unzutreffenden Angaben die Rechte der betroffenen Person beeinträchtigen und dieser Ansprüche auf Schadensersatz und Unterlassung gegen den Hinweisgeber zustehen können. Das ist hier der Fall, weil die Angaben des Hinweisgebers wegen ihres ansehensbeeinträchtigenden Charakters das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Mieters verletzen können.

     

     

    Interessenabwägung zugunsten des Mieters

    Bei dieser Sachlage fällt die Interessenabwägung zugunsten des Mieters aus. Dieser benötigt die Informationen, von wem die unrichtigen Angaben stammen, um mögliche Rechte gegenüber dem Hinweisgeber geltend zu machen und so „die Fehler an der Wurzel anzugehen“.

    Hingegen besteht kein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse des Hinweisgebers. Insbesondere kann er sich jedenfalls dann nicht auf die Erwartung berufen, dass seine Beschwerde vertraulich behandelt wird, wenn diese unzutreffende Behauptungen enthält.

    Der Vermieter kann die Auskunft auch nicht mit Verweis darauf verweigern, dass es ihm bei der Offenlegung von Hinweisgebern nicht möglich sei, seine Aufgaben effektiv und sachgerecht zu erfüllen, insbesondere Ordnung und Frieden in der Hausgemeinschaft zu erhalten. Es besteht auch nicht die Gefahr, dass keine Missstände mehr angezeigt werden, denn Hinweise lassen sich auch anonym erteilen.

    (BGH, Urteil v. 22.2.2022, VI ZR 14/21)

    Das ganze Urteil lesen Sie hier.

     

    Fazit

    Mit diesem Urteil hat der BGH die eine für Vermieter wichtige Auslegung der Rechtslage beim Datenschutz vorgenommen.

     

    Quelle personenbezogener Daten muss offengelegt werden

    Nach Artikel 15 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) haben Mieter das Recht, von Vermietern zu erfahren, welche personenbezogenen Daten zu welchem Zweck über sie verarbeitet werden. Bei Daten, die Mieter ihren Vermietern nicht selbst zur Verfügung gestellt haben, sind sie berechtigt, die Quelle der Daten zu erfahren.

    Der BGH stellte im konkreten Fall klar, dass es sich bei der Anschuldigung über Gerüche und Ungeziefer im Treppenhaus um personenbezogene Daten handele, die sich direkt auf den Mieter beziehen, von ihm selbst aber nicht offenbart wurden. Demnach habe der Mieter nach der DSGVO ein Recht darauf, die Quelle der Daten zu erfahren. Ihm müsse der Name der hinweisgebenden Person genannt werden. Dieses Recht ist allerdings gegen das Geheimhaltungsinteresse des Hinweisgebenden abzuwägen. Das war – so der BGH – im Urteil der Vorinstanz nicht hinreichend geschehen.

     

    Anspruch auf Schadensersatz bei unbewiesenen Anschuldigungen

    Es konnte nicht bewiesen werden, dass es tatsächlich Ungeziefer und eine Geruchsbelästigung gab. Daher müsse das Gericht davon ausgehen, dass die Anschuldigungen des Hinweisgebenden zumindest objektiv nicht zutrafen. Solche Behauptungen konnten aber das Ansehen des Mieters schädigen und somit in seine Persönlichkeitsrechte eingreifen. Damit habe er möglicherweise Ansprüche auf Schadensersatz und Unterlassung gegen die hinweisgebende Person.

    Nach Ansicht des BGH wäre das Interesse des verunglimpften Mieters, diese Ansprüche geltend zu machen, höher zu gewichten als das Geheimhaltungsinteresse der anderen Mietpartei. Wer unzutreffende Anschuldigungen herausposaune, dürfe nicht auf Vertraulichkeit hoffen.

    Nun muss das OLG Stuttgart die Interessen des Mieters einerseits und die des Hinweisgebenden andererseits noch einmal neu abwägen.

     

     

     

    Was sagt der Experte?

    Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:

     

    Was ist wichtig für Vermieter?

    Für die Vermietung Ihrer Immobilie müssen Vermieter zwangsläufig personenbezogene Daten seiner Mieter erheben. Solche Daten erhalten sie schon vor Unterschreiben des Vertrages durch die Mieterselbstauskunft.

     

    Vertrauliche Behandlung

    Diese über den Mieter erhaltenen und gespeicherten Daten muss der Vermieter vertraulich behandeln und darf diese nur unter bestimmten Voraussetzungen an Dritte weitergeben. Im Zweifelsfall muss er begründen können, zu welchem Zwecke er bestimmte Daten erhoben und vor allem gespeichert hat.

     

    Nur für das Mietverhältnis relevante Daten

    Zudem darf man nur Daten sammeln, die tatsächlich für das Mietverhältnis relevant sind, es muss also ein direkter Zusammenhang bestehen. Eventuell in Zukunft bedeutsame Informationen (z.B. Aufnahme einer weiteren Person) dürfen also nicht zu einem früheren Zeitpunkt abgefragt werden.

    Es sollte immer ein berechtigtes Interesse an der Erhebung der Daten bestehen. Ein Abfragen aus rein privatem Interesse ist daher nicht gestattet. Ein berechtigtes Interesse besteht beispielsweise dann, wenn der Mieter Ihnen bei der Besichtigung mitgeteilt hat, dass er die Wohneinheit gerne mieten möchte.

    Bei der Datenerhebung muss zudem stets das Interesse vom Mieter und Ihnen als Vermieter abgewogen werden, um keine unverhältnismäßigen Datensätze zu generieren.

     

    Widerspruch nur vor Beginn des Mietverhältnisses

    Solange der Mietvertrag nicht unterschrieben ist, hat der potenzielle Mieter das Recht, seine Einwilligung zur Datenspeicherung zu widerrufen. In diesem Fall muss der Vermieter sämtliche erhobenen Daten löschen. Das Widerspruchsrecht ist jedoch nur bis zum Unterschreiben des Mietvertrags gültig. Ab diesem Zeitpunkt ist die Speicherung der Daten für die Vertragserfüllung notwendig.

     

    Achtung bei Mietübernahme durch öffentliche Stellen

    Übernimmt beispielsweise die Agentur für Arbeit die Zahlung der Miete, darf man dem Mieter keine Fragen zu Einkommen und Arbeitgeber stellen, da der Vermieter nur Informationen einholen darf, welche relevant für das Mietverhältnis sind und die Notwendigkeit in diesem Fall nicht gegeben ist.

    Fachanwalt Wolfgang Reineke