Eigenbedarf wegen Pflege der Eltern? Gericht lehnt ab – fehlerhafte Kündigung!

    Die Zahlen sprechen für sich. Der Deutsche Mieterbund schätzt, dass rund 80.000 Mieter*innen pro Jahr wegen Eigenbedarf gekündigt wird. 

    Anhand von Zahlen des Statistischen Bundesamts und Rechtsschutzversicherern geht man davon aus, dass es jährlich rund 14.000 Gerichtsprozesse aufgrund von Eigenbedarfskündigungen gibt. 

    Alle Fachleute betonen, dass es aufgrund der alternden Bevölkerung immer häufiger zu Härtefällen kommt. Der Bundesgerichtshof sagt, dass die jeweiligen Fälle daher „in gebotener Tiefe“ betrachtet werden müssten. Was dies für die Erfolgschancen der Betroffenen heißt, ist unklar.

     

    Fall des Amtsgerichts Recklinghausen

    Wie sieht es nun aus, wenn ein Vermieter eine Wohnung mit der Behauptung kündigt, dort einziehen zu wollen, um seine in diesem Haus lebenden Eltern (fortgeschrittenen Alters zu betreuen?

    Über einen solchen Fall hatte das Amtsgerichts Recklinghausen zu entscheiden.

     

    Situation der Mieter

    In dem Fall mieteten die beklagten Mieter mit Vertrag vom 17.07.2012 von der Klägerin eine im Dachgeschoß gelegene Wohnung. Die Erdgeschosswohnung in der streitgegenständlichen Immobilie war an die Eltern der Klägerin vermietet, der Vater der Klägerin ist 92 Jahre, die Mutter 78 Jahre alt. Die Mutter der Klägerin kocht und versorgt den Vater der Klägerin nach Kräften. Ein Pflegedienst oder Essen auf Rädern ist nicht beauftragt. Mit Schreiben vom 27.05.2015 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. In der Kündigung heißt es, dass die Wohnung aufgrund des hohen Alters der Eltern der Klägerin zum Zwecke der Gewährleistung der Betreuung benötigt werde. Zeitweilig hielt sich die Klägerin durchgehend bei ihrem Vater auf und betreute diesen.

     

    Situation der Vermieter

    Die Klägerin beabsichtigte gemeinsam mit ihrem Sohn in die von den Beklagten bewohnte Wohnung einzuziehen, um sich um ihre Eltern zu kümmern. Sie fahre auch jetzt schon fast jeden Tag zu ihren Eltern, um mit ihnen gängige Termine wie z.B. Arztbesuche, Friseurbesuche, Einkauf oder Friedhofsbesuche wahrzunehmen. Seit zweieinhalb Jahren habe sie unbezahlten Urlaub und seitdem ohnehin jeden Montag und Donnerstag ihre Eltern besucht oder sie zu sich geholt, um mit ihnen Ausflüge zu machen.

    Ihr Vater könne nicht mehr alleine gelassen werden, da sich sein gesundheitlicher Zustand verschlechtert habe.

    Die Beklagten sind der Auffassung, die Kündigung sei rechtsmissbräuchlich und behaupten dazu, dass in dem streitgegenständlichen Haus eine weitere Wohnung leer stehe, welche als Alternativwohnung in Betracht komme.

    Die Klägerin bestreitet die Möglichkeit, diese Räumlichkeiten im Souterrain als Wohnung nutzen zu können. Es handele sich vielmehr um zwei ehemals von ihrem Großvater als Büro genutzte Räume, die keine volle Geschosshöhe aufweisen. 

     

    Das Amtsgericht weist die Klage ab!

    Das Amtsgericht Recklinghausen hat die Klage der Vermieterin abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Räumung der streitgegenständlichen Wohnung gegen die Beklagten aus § 546 BGB, da das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis nicht wirksam durch eine Kündigung der Klägerin erloschen sei.

     

    Keine vernünftigen und nachvollziehbaren Gründe

    Nach Auffassung des Amtsgerichts habe die Klägerin keine hinreichenden Umstände dargelegt, aus welchen sich ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB ergebe. Es sei von der Klägerin nicht hinreichend substantiiert vorgetragen worden, dass sie die Wohnung für sich oder ihren Sohn zu benötige. Denn im Rahmen einer Kündigung wegen Eigenbedarfs sei ein konkreter Sachverhalt anzugeben, auf den das Interesse der Person zur Erlangung der Wohnung gestützt werde und das den Mieter erkennen lasse, ob „vernünftige und nachvollziehbare Gründe“ vorlägen. 

    Soweit die Klägerin behauptet habe, ihr Vater sei auf Hilfe anderer angewiesen, so ergebe sich daraus nicht ohne weiteres die Notwendigkeit des Einzugs der Klägerin in die streitgegenständliche Wohnung. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin selbst im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt habe, dass ihre Mutter jeden Tag koche und ihren Vater nach Kräften versorge. Weiter spreche die Tatsache, dass weder Pflegedienst noch Essen auf Rädern als Unterstützung der Mutter installiert sei, gegen die Annahme, dass die Klägerin die Wohnung zur Unterstützung ihrer Eltern benötige. Auch aus den in Bezug genommenen Arztberichten ergibt sich die pauschal behauptete Erforderlichkeit der Betreuung ihrer Eltern durch die Klägerin nicht. Sie habe weder Umstände vorgetragen, welche aktuell zu begründen vermögen, dass über die Unterstützung durch ihre Mutter hinaus ihre Anwesenheit im Haus geboten sei noch dargestellt, welcher Art die beabsichtigte Unterstützung sein soll. Sofern sie erklärt habe, Arztbesuche und Friseurtermine sowie Einkäufe mit ihren Eltern gemeinsam wahrzunehmen oder mit diesen Ausflüge zu machen, so reiche dies nicht aus. Das gelte umso mehr, als die Klägerin im selben Postleitzahlengebiet wohnt wie ihre Eltern.

     

    Kein zeitlich enger Zusammenhang

    Darüber hinaus fehle es an der Darlegung eines zeitlich engen Zusammenhangs der Absicht zur Selbstnutzung mit der Kündigung. Die Klägerin trage selbst vor, dass die Betreuungsgewährleistung insbesondere für den Fall erforderlich sei, dass ihre Mutter noch einmal ausfalle und ein Krankenhausaufenthalt erforderlich werde. Dass dies unmittelbar bevorstehend oder absehbar sei, behauptet sie indes nicht. Auch aus dem eingereichten Arztbericht ergebe sich lediglich, dass langfristig die häusliche Umgebung an die Erkrankungen der Eltern der Klägerin angepasst werden müsse. 

    Die Absicht zur Selbstnutzung oder Überlassung müsse jedoch in einem zeitlich engen Zusammenhang mit der Kündigung stehen, ein noch unbestimmtes Interesse einer möglichen weiteren Nutzung reicht nicht aus. Vielmehr muss sich der Nutzungswunsch soweit verdichtet haben, dass ein konkretes Interesse einer alsbaldigen Eigennutzung besteht. Sogenannte „Vorratskündigungen“ seien unzulässig, so das Amtsgericht.

     

    Mieter muss bei Anmietung aufgeklärt werden

    Zudem ergebe sich auch aus dem Vorbringen der Klägerin selbst, dass der behauptete Grund für diesen Eigenbedarf bereits zum Zeitpunkt der Vermietung vorgelegen hat bzw. vorhersehbar war. Zwar steht dies der Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht grundsätzlich entgegen, jedoch muss ein Vermieter bei der Anmietung den Mieter über diese Umstände aufklären. Dies ist unstreitig nicht erfolgt. Dem Vortrag der Beklagten, dass seit dem Einzug der Beklagten keine Veränderungen des Gesundheitszustandes der Eltern der Klägerin eingetreten seien, sei die Klägerin nicht entgegengetreten.

    Das ganze Urteil können sie hier lesen.

     

     

    Was sagt der Experte?

    Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema

     

     

    Eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ist eine der häufigsten Kündigungsformen, aber auch eine der schwierigsten und fehlerträchtigsten. Zwar hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Anforderungen an eine Eigenbedarfskündigung deutlich gesenkt. Laut BGH muss der Vermieter seine Gründe nur so detailliert darstellen, dass sie nicht beliebig ausgetauscht werden können. Es ist zur Vermeidung von Risiken aber natürlich am sichersten, wenn Sie als Vermieter die Gründe für Ihren Eigenbedarf schon im Kündigungsschreiben so umfassend wie möglich schildern.

    In einem Fall wie hier müssen Vermieter im Kündigungsschreiben den Bedarf für eine Pflegeperson plausibel machen. Hierzu sollten sie erläutern, weshalb sie zumindest alsbald auf intensive Pflege angewiesen sind und die Hilfeleistungen nicht durch eine Pflegeperson erbracht werden können, die innerhalb einer Stadt bzw. im Umfeld einer kleineren Gemeinde wohnt. Dies kann sich etwa daraus ergeben, dass der Vermieter auf ganztägige bzw. Pflege rund um die Uhr angewiesen ist. Hierfür spricht auch der Verweis auf Zuerkennung einer hohen Pflegestufe im Bescheid der Pflegekasse.

    Zusätzlich sollte er sich z. B. durch seinen Hausarzt bescheinigen lassen, dass die ständige Anwesenheit einer Pflegeperson medizinisch indiziert ist. Der Vermieter muss die Pflegeperson nicht namentlich benennen. Dies ergibt sich daraus, dass er diese normalerweise erst nach Auszug des Mieters einstellen kann.

     

    Fazit

    Die Eigenbedarfskündigung wegen einer erforderlichen Betreuung Familienangehöriger ist möglich.

    Im Streitfall muss aber immer der Bedarf an einer Wohnung nachgewiesen werden, die Wohnung muss benötigt werden.

    Der Bundesgerichtshof hat immer wieder bestätigt, dass Eigenbedarfskündigungen immer eine Abwägung im Einzelfall erfordert. Das heißt, es darf keine schematischen Regeln geben, nach denen eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen oder überprüft werden kann, sondern es wird immer geprüft, welche Interessen und welche persönlichen Bedingungen liegen beim Mieter vor, welche Interessen und persönlichen Bedingungen liegen beim Vermieter vor. 

    Wichtig: War die eingetretene Situation absehbar, dann sind die Chancen schlecht. Die Situation muss sich nach Abschluss des Mietvertrages grundsätzlich geändert haben. 

    Bereits im Kündigungsschreiben sollten Sie als Vermieter alle Gründe für den Eigenbedarf für Ihren Mieter so umfassend und nachvollziehbar wie möglich darstellen (AG Düsseldorf, Urteil v. 07.08.17, Az. 25 C 447/16).

    Vorstellbar auch, um eine lange Verfahrensdauer zu vermeiden: Dem Mieter eine „Abfindungszahlung“ anbieten.

    In jedem Fall einer Eigenbedarfskündigung dieser Art ist vor einem eigenen Schreiben guter „Haus & Grund Rat“ und fachanwaltliche Hilfe unverzichtbar!

    Fachanwalt Wolfgang Reineke