Poltern, Trampeln, Türknallen – kann wegen Kinderlärm gekündigt werden?
Beschluss des Landgerichts – Berlin Beschluss vom 30.07.2021 – 65 S 104/21
Erfahrene Vermieter kennen das Problem:
Oft beschweren sich Mieter beim Vermieter über „Lärm“, den die Kinder von Mitmietern oder Nachbarn verursachen. Aber über diesen Begriff wird bei Kindern heftig gestritten.
Was für die einen Menschen nämlich einen schier unerträglich ist, das ist für die anderen „Zukunftsmusik“, die es nicht nur auszuhalten gilt, sondern die sogar erfreut. Was aber gilt in rechtlicher Hinsicht?
Streiten, Schreien, Poltern, Trampeln und Türknallen: Kinder können anderen Mietern und dem Vermieter selbst gehörig auf die Nerven gehen. Mietminderungen sind oft die Konsequenz und nicht selten zeigen Vermieter den Verursachern des Lärm sogar die „rote Karte“ in Form einer Kündigung.
Dabei ist klar:
Generell müssen Mieter in einem größeren Haus Geräuscheinwirkungen hinnehmen, wie sie in einem Haus mit mehreren Mietparteien eben unvermeidbar sind. Das gilt insbesondere für üblichen Kinderlärm. Aber was ist üblich? Was ist noch innerhalb der Toleranzgrenzen?
Keine schädliche „Umwelteinwirkung“
Der Kinderschutz ist schon seit längerem in den Fokus politischer Bemühungen gerückt. So hat der Gesetzgeber bereits vor zehn Jahren im „Gesetz zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen und ähnliche Vorgänge“ (BImSchG) in § 22 Abs. 1 a festlegen lassen:
„Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und Richtwerte nicht herangezogen werden.“
Kindergarten und Spielplatz
Damit wurde gesetzlich gesichert und geschützt, dass Kindern außerhalb der eigentlichen Wohnräume Platz zur Verfügung stehen muss, wo sie ihrem Alter entsprechend gefahrlos spielen können. Wenn Kinderlärm durch einen in der Nähe liegenden Hort oder Spielplatz in die Wohnung dringt, ist dies vom Bewohner als üblich hinzunehmen. Mieter können sich in aller Regel nicht über Kinder-Geräusche beschweren, die von einer Fläche kommen, die unter „Kinderschutz“ stehen.
Nach der Baunutzungsverordnung dürfen Kindertagesstätten, also Kindergärten, Kinderhorte oder Kinderkrippen auch in reinen Wohngebieten errichtet werden.
Kein Freischein für Lärm!
Unstreitig ist: Kinder haben keinen Freischein zum unbegrenzten Lärmen. Eltern haben die Pflicht, die von ihren Kindern ausgehenden Geräuschentwicklungen durch erzieherische Maßnahmen möglichst gering zu halten und Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer Bewohner zu nehmen. Übersteigt der Kinderlärm den Rahmen der normalen Wohnnutzung, sind zum einen Mitmieter zur Mietminderung berechtigt, zum anderen stellt sich für den Vermieter die Frage, ob er das Mietverhältnis bei fortdauerndem Lärm durch Kündigung beenden kann.
Dauerhaft und unzumutbar
Dazu müsste eine dauerhafte und unzumutbare Lärmbelästigung bestehen. Störungen durch nächtliches Baby- oder Kindergeschrei sind beispielsweise eine unvermeidbare Folge kindlicher Entwicklung und müssen von den Nachbarn beziehungsweise Mitmietern geduldet werden.
Voraussetzung für eine „sinnvolle“ Beschwerde über Nachbarskinder ist also zunächst, dass Kinder von ihrer Entwicklung her überhaupt in der Lage sind, erzieherische Vorgaben der Eltern zu verstehen. Erst dann kann von Eltern und Kind verlangt und auch erwartet werden, dass Lärmen von Kindern zu den allgemeinen Ruhezeiten untersagt wird. Bei erwachsenen Kindern kann sich der Mieter nicht darauf berufen, er könne sich ihnen gegenüber nicht durchsetzen.
Beispielhaft für eine erfolgreiche „Lärmbekämpfung“ ist der Fall des Amtsgerichts Berlin Neukölln vom 28.04.2021 – 2 C 125/19.
Der Fall:
Über mehrere Monate hinweg drangen aus einer Mietwohnung zu Ruhezeiten laute Streitigkeiten und Kinderlärm nach außen. Von einer anderen Mieterin wurden sie als derart unerträglich empfunden, dass diese kündigte und auszog. Zahlreiche Abmahnungen blieben fruchtlos, so dass der entnervte Vermieter schließlich kündigte und Räumungsklage erhob.
Mit Erfolg!
Das Amtsgericht gab nach einer Zeugenanhörung der Klage statt, das Landgericht bestätigte die Rechtmäßigkeit der Kündigung (LG Berlin, Beschluss vom 30.07.2021 – 65 S 104/21)
Aus den Gründen der Entscheidung:
„Das Amtsgericht habe in zutreffender Weise berücksichtigt, dass Kinderlärm auch in Ruhezeiten nicht ganz ausgeschlossen werden kann. Von Kindern ausgehender Lärm wird nach § 22 Abs. 1a BImSchG grundsätzlich privilegiert, wobei diese Regelung nach der Rechtsprechung des BGH darauf angelegt ist, über seinen eigentlichen Anwendungsbereich und das damit vielfach umklammerte zivilrechtliche Nachbarrecht hinaus auch auf das sonstige Zivilrecht – insbesondere das Mietrecht – auszustrahlen. Diese Ausstrahlungswirkungen, die zugleich die Verkehrsanschauung zu Art und Maß der als sozialadäquat hinzunehmenden Geräuschimmissionen prägen, haben zur Folge, dass bei Kinderlärm der in § 22 Abs. 1a BImSchG beschriebenen Art jedenfalls bei Beachtung des Gebots zumutbarer gegenseitiger Rücksichtnahme in der Regel als den Mietgebrauch nicht oder nur unerheblich beeinträchtigend einzustufen ist (BGH, Urt. v. 29.04.2015 – VIII ZR 197/14, NJW 2015, 2177 [2179].“
Grenze : Nächtliche Ruhezeiten
Diese Rechtsprechung zum Vorliegen eines Mangels der Mietsache gegenüber den anderen Mietern kann auch für die Erheblichkeit der Pflichtverletzung im Fall der Mangelbeseitigung durch den Vermieter in Form einer Kündigung des lärmverursachenden Mieters herangezogen werden.
Das in der Norm zum Ausdruck gebrachte Toleranzgebot der Gesellschaft gegenüber Kinderlärm im Allgemeinen findet seine Grenze dort, wo nächtliche Ruhezeiten durch die Einwirkung Erwachsener, die zum Kindeswohl handeln und ihre Kinder schlafen legen, eingehalten werden könnten, dies aber nicht geschehe.
Die Entscheidung im Wortlaut lesen Sie hier.
Auch Wohnungseigentümer können sich gegen übermäßigen Kinderlärm wehren
So geschehen im Fall des Amtsgerichts München mit Urteil vom 04.05.2017 – 281 C 17481/16 –
Das Amtsgericht München entschied, dass Nachbarn den von einer Familie mit kleinen Kindern ausgehenden Lärm nicht grenzenlos hinnehmen müssen.
Der Fall:
Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens war eine Wohnungseigentümergemeinschaft eines achtstöckigen Hochhauses im Münchner Osten mit vier bis fünf Wohnungen pro Stockwerk. Eine dieser Wohnungen mit drei Zimmern wird seit sechs Jahren an die Beklagten, ein 41 und 29 – jähriges Ehepaar mit zwei Kindern im Alter von vier und sieben Jahren, vermietet. Die Hausordnung sieht Ruhezeiten von 12 bis 14 Uhr und 20 bis 7 Uhr vor.
Die Klägerin trug vor, dass es zur Mittags- und Nachtzeit fast täglich zu Ruhestörungen durch die Beklagten käme, in dem sie sich weit über Zimmerlautstärke unterhielten, laut unter Benutzung der Freisprecheinrichtung telefonierten, häufig Besuch von mehreren Personen in den Abendstunden empfingen, laut Musik hörten, den Fernseher zeitgleich laut an hätten und in den Abendstunden häufig staubsaugten. Zudem verursachte die Familie Lärm durch Geschrei, Herumtrampeln, Springen und dadurch dass sie Gegenstände fallenlässt, Türen zuwirft und rhythmisch auf den Boden schlägt. Die Beklagten wurden – fast seit ihrem Einzug von den Miteigentümern immer wieder aufgefordert, die Störungen zu unterlassen. Die Situation änderte sich dadurch aber nicht.
Die Beklagten bestreiten die Ruhestörungen. Die Kinder gingen auch in der Ferienzeit spätestens gegen 20 Uhr bzw. 20.30 Uhr ins Bett. Die Beklagten hätten im vergangenen Jahr keinen Besuch gehabt.
Zeugen bestätigen Aussagen der Klägerin durch Lärmprotokoll
Das Amtsgericht München vernahm die unter und unmittelbar neben der Wohnung der Beklagten lebenden Wohnungseigentümerinnen. Die Nachbarin unterhalb legte ein von ihr geführten Lärmprotokoll vor und gab an, dass es täglich zum Teil bis nach Mitternacht laut gewesen sei, da die Erwachsenen schrien, sich laut unterhielten und zeitgleich den Fernseher laut betrieben. Die Kinder schrien, trampelten oder sprangen Seil. Mehrmals pro Woche seien fünf bis acht Kinder in der Wohnung der Beklagten anwesend gewesen. Zudem habe man oft nach 20 Uhr gestaubsaugt und Möbel verrückt. Die Zeugin habe mehrfach versucht mit dem Ehemann zu reden. Der habe aber lediglich gesagt, dass er alles machen könne, was er wolle. Die Zeugin sei schließlich 2017 aufgrund des Lärmes aus ihrer Eigentumswohnung in eine Mietwohnung umgezogen. Ihre Angaben wurden von der weiteren Nachbarin und deren Lärmprotokoll bestätigt.
Lärm steht in keinem Zusammenhang mehr mit adäquaten Wohnnutzung
Das Amtsgericht München glaubte den Zeuginnen und gab der Klagepartei Recht. Frequenz, Lautstärke und die Zeiten der Lärmentfaltung stünden laut Gericht nicht mehr im Zusammenhang mit einer adäquaten Wohnnutzung oder einer hinzunehmenden lebhaften Lebensäußerung von Kindern. Das von den Kindern ausgehende regelmäßige und über einen langen Zeitraum gehende laute Geschrei, Springen und Getrampel in der Wohnung weit nach 20 Uhr, Seilspringen in der Wohnung und das Herumfahren mit Kinderfahrrad und Roller im Hausflur gehe über das hinaus, was bei Kindern üblicherweise hingenommen werden müsse. Zudem hätten sich die Beklagten auch rücksichtslos verhalten, indem sie auf mehrfache Aufforderungen der Hauseigentümer, den Lärmpegel zu senken, mit der Aussage reagierten, dass sie tun und lassen können, was sie wollten.
Gericht untersagt Lärmentfaltung unter Androhung eines Ordnungsgeldes
Das Amtsgericht untersagte unter Androhung von Ordnungsgeld den Beklagten zu den in der Hausordnung festgesetzten Zeiten laute Unterhaltungen, insbesondere mit Geschrei zu führen, sowie Fernseher, Radio und sonstige Wiedergabegeräte über Zimmerlautstärke hinaus zu betreiben. In den genannten Zeiten haben sie es auch zu unterlassen, dass der übliche Lärmpegel von spielenden Kindern überschritten wird.
Was sagt der Experte?
Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:
Achtung bei der Auswahl der Mieter!Wer in einem Mehrfamilienhaus vermietet, der muss auf die soziale Auswahl achten, um nicht Überraschungen zu erleben. Es könnte problematisch werden ein älteres ruhebedürftiges Rentnerehepaar in einem Haus unterzubringen, wo von kleineren Kindern Lärmauswirkungen ausgehen. Hier ist Ärger vorprogrammiert! Generell müssen Mieter in einem größeren Haus Lärmeinwirkungen hinnehmen, wie sie in einem Haus mit mehreren Mietparteien eben unvermeidbar sind. Das gilt insbesondere für üblichen Kinderlärm.
Pflicht der ElternDennoch haben Kinder beziehungsweise deren Eltern keinen Freischein zum unbegrenzten Lärmen. Eltern haben die Pflicht, die von ihren Kindern ausgehenden Geräuschentwicklungen durch erzieherische Maßnahmen möglichst gering zu halten und Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer Bewohner zu nehmen. Übersteigt der Kinderlärm den Rahmen der normalen Wohnnutzung, sind Mitmieter unter Umständen zur Mietminderung berechtigt.
Beschwerden der Mieter ernst nehmen!Vermieter sollten Beschwerden der Mieter immer ernst nehmen und zeigen, dass man sich der Sache annimmt. Oft ist es aber schwierig einzuschätzen, ob Geräusche, die Nachbarskinder verursachen, vom Mieter zu tolerieren sind. In letzter Konsequenz kann die Lärmentwicklung sogar zu einer Minderung berechtigen, weil die Mietsache durch die Geräuschentwicklungen mangelbehaftet ist. Bei der Einschätzung einer Beeinträchtigung durch (Kinder-)Lärm ist von der „Anfälligkeit eines durchschnittlich Lärmempfindlichen“ auszugehen. Wird eine Geräuschentwicklung nur wegen einer Überempfindlichkeit als Störung empfunden, berechtigt dies nicht zur Mietminderung.
Lärmprotokoll führenUm die Geräuschbelastung beurteilen zu können, ist ein Lärmprotokoll nicht nur empfehlenswert, sondern oft sogar unentbehrlich. Beschwert sich ein Mieter über lärmende Kinder in der Nachbarschaft, sollten Sie ihn bitten, ein Lärmprotokoll zu führen. Das hat gleich mehrere Vorteile: Zum einen kann der Betroffene selbst etwas zur Lösung des Problems beitragen, zum anderen wird er sich als potentieller Zeuge in einem Verfahren später daran erinnern, was er selbst aufgeschrieben hat. Das Protokoll sollte aufgebaut sein wie folgt:
Unterstützung durch den AnwaltIn jedem Fall empfiehlt es sich von Anfang fachliche Unterstützung bei Ihrem Haus & Grund Verein zu suchen. Der dortige Fachanwalt gibt die notwendigen Tipps und Hinweise, wie am besten weiter vorzugehen ist. |
Fachanwalt Wolfgang Reineke |