Urteil des Monats


Was bedeutet „Mittagsruhe“- ist Staubsaugen erlaubt?

Entscheidung des Amtsgerichts Singen vom 20.4.2022

 

Sachverhalt

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Mieterin einer Erdgeschosswohnung klagte gegen die über ihr wohnende Nachbarin auf Unterlassung von Lärmstörungen. Sie beschwerte sich darüber, dass kurz nach 7 Uhr mit Fenstern und Türen geknallt und hin und her getrampelt werde. Die Wohnung befand sich in einem sehr hellhörigen Mehrfamilienhaus, ohne Trittschalldämmung. Wenn also die Mieterin im ersten Stock morgens um 7 Uhr lüftete und sich durch die Wohnung bewegte, dazu Fenster und Türen öffnete und schloss, verlief das nicht geräuschlos. Zudem hatte sie die Angewohnheit, täglich gegen 12 Uhr zum Staubsauger zu greifen.

Das wollte die Erdgeschossbewohnerin nicht länger hinnehmen und klagte vor dem Amtsgericht Singen auf Unterlassung jeglicher Ruhestörung.

 

Kein Anspruch auf Unterlassung jeglicher Ruhestörung

Doch mit ihrer Schilderung des Lärms konnte sie das Gericht nicht beeindrucken. Vielmehr wertete das Gericht die genannten Belästigungen als Bagatelle und entschied: Mieter dürfen mittags Staubsaugen und Geräusche, die beim Bewegen von Fenstern und Türen entstehen, gehören zum Alltagsleben. Sie seien daher hinzunehmen.
Selbst eine Hausordnung könne nicht vorgeben, dass jedes störende Geräusch zu vermeiden sei. Bei gewöhnlichen Tätigkeiten im Alltag entständen nun mal Geräusche. Es könne nicht erwartet werden, dass sich Menschen in ihren Wohnungen nach Ende der Nachtruhe schleichend fortbewegen und mucksmäuschenstill verhalten. Das gelte Alltagstätigkeiten, die naturgesetzlich mit Geräuschentwicklungen verbunden seien.

 

„Bagatelle“

Der Klägerin stehe also kein Anspruch auf Unterlassung jeglicher Ruhestörung zu. Die von der Klägerin genannten Belästigungen seien als „Bagatelle“ zu werten. Der Beklagten sei es erlaubt, im Rahmen des Sozialadäquaten in der von ihr bewohnten Wohnung Geräusche zu verursachen, die andere Hausbewohner als ruhestörend empfinden. Ein Wohnungsmieter dürfe Mittags staubsaugen. Zwar komme es beim Schließen von Fenstern und Türen zu punktuellen Geräuschentwicklungen. Diese gehören aber zum Alltagsleben und seien hinzunehmen.

 

Keine Pflicht zur Vermeidung jedes störenden Geräusches

Von der Beklagten könne nicht erwartet werden, so das Amtsgericht, dass sie sich ganz zaghaft und behutsam schleichend verhalte sowie zaghaft darauf zu achten, keinen Laut von sich zu geben und mucksmäuschenstill zu sein.
(Amtsgericht Singen, Urteil vom 29.04.2022 – 1 C 235/21)

 

 

 

Was sagt der Experte?

Haus & Grund – Fachanwalt Wolfgang Reineke kommentiert weitere Fragen zum Thema:

 

Keine gesetzliche Regelung

Bei so manchem Nachbar wünscht man sich eine gesetzlich vorgeschriebene Mittagsruhe, welche das Rasenmähen, Musizieren und andere geräuschintensive Tätigkeiten in der Mittagszeit verbietet.
In Deutschland gibt es aber weder auf Bundes- noch auf Länderebene eine gesetzlich verankerte Mittagsruhe. Im Rahmen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes gibt es jedoch Verbote für den Betrieb bestimmter Maschinen und Werkzeuge.

In der 32. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Geräte- und Maschinenlärmschutzverordnung – 32. BImSchV) ist festgehalten, dass werktags von 13-15 Uhr der Betrieb bestimmter Geräte in Wohngebieten untersagt ist. Dies gilt auch für die Zeit vor 9 Uhr und nach 17 Uhr. Zu den betroffenen Geräten zählen beispielsweise Laubbläser zum Laubräumen und bestimmte Rasenmäher. Rasenmäher mit geringer Geräuschentwicklung sind dagegen nicht betroffen.

Unabhängig von den Vorgaben des Immissionsschutzgesetzes können auf kommunaler Ebene Regelungen zu einer Mittagsruhe bestehen. Diese sind in der Stadt- oder Gemeindesatzung festgehalten und finden zum Beispiel in Kurorten Anwendung.

 

Kinderlärm ist in der Regel hinzunehmen

Wer sich in der Mittagszeit durch den Lärm der Nachbarn belästigt fühlt, sollte zunächst prüfen, ob eine rechtliche Handhabe vorliegt. Stammt der Lärm aus einer Quelle, die nicht unter das Immissionsschutzgesetz fällt und gilt keine kommunale Mittagsruhe, kann allenfalls die Hausordnung helfen. Sieht auch diese keine Mittagsruhe vor, kann ein Gespräch mit dem Nachbarn helfen.

Der Gang vor Gericht lohnt sich nur, wenn ein Verstoß gegen Gesetze und Verordnungen tatsächlich nachgewiesen werden kann. Übrigens: Wer sich über Kinderlärm beschwert, wird in der Regel keinen Erfolg damit haben. Bei Babys und kleineren Kindern hält die Rechtsprechung ein gewisses Lärmaufkommen für hinnehmbar.

Vermieter können in ihrer Hausordnung den Betrieb größerer Lärmquellen in der Mittagszeit untersagen. Solche Vorgaben betreffen jedoch ausschließlich die Mieter im eigenen Haus. Nutzt ein Nachbar in der Mittagszeit seinen Rasenmäher, können sich Anwohner nicht auf ihre eigene Hausordnung berufen.

 

Was kann man gegen Lärmbelästigung in der Mittagszeit tun?

Wer sich in der Mittagszeit von lauten Geräuschen gestört fühlt, hat verschiedene Möglich¬keiten, für Ruhe zu sorgen.

Polizei oder Ordnungsbehörden informieren: An das Ordnungsamt kann man sich wenden, wenn es eine gesetzliche Grundlage gibt, die Lärm in der Mittagszeit regelt oder verbietet. Normalerweise ist das die Satzung der Kommune oder Gemeinde. Diese kann man im Rathaus oder oft auch im Internet einsehen. Wenn es der Gemein¬de¬satzung keine Regelungen zur Mittagsruhe gibt, lohnt es sich leider auch nicht, das Ordnungsamt zu kontak-tieren. Ohne rechtliche Grundlage dürfen die nicht tätig werden.

 

Das Gespräch mit dem Vermieter suchen:

Wer sich durch den Lärm der Nachbarn gestört fühlt, kann sich auch an den Vermieter wenden. Am besten fertigt man vor dem Gespräch ein Lärmpro­tokoll an, in dem die Störung mit Datum, Uhrzeit und Art des Lärms dokumen­tiert wird. Wenn in der Hausordnung oder im Mietvertrag eine Mittagsruhe festge­schrieben ist, kann der Vermieter sich um die Durchsetzung dieser Regel kümmern.

 

Abmahnung

Der Vermieter wird den störenden Mieter zunächst abmahnen. Führt das zu keinem Erfolg, dann kann das auch zu einer Beendigung dieses Mietverhältnisses führen.

 

Der Gang zum Haus & Grund Anwalt

Die richtige Vorgehensweise im Fall von Lärmbelästigung durch andere Hausbewohner sollte von Vermietern in jedem Fall mit dem Haus & Grund Anwalt besprochen und abgestimmt werden. Er wird die weitere Vorgehensweise festlegen.

Fachanwalt Wolfgang Reineke

 

 

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Beratungsthemen in den Haus & Grund Vereinen

 

Mehr als die Hälfte aller Rechtsberatungen entfallen auf die Beratungsklassiker „Betriebskosten, inkl. Heizkosten“ und „Wohnungsmängel“. Sie sind die dominierenden Rechtsberatungsthemen.

Das dritthäufigste Beratungsthema bleiben die Mieterhöhungen auf die ortsübliche Vergleichsmiete mit einem Anstieg auf jetzt 12,8 Prozent. Hier spiegeln sich Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten mit zuletzt stark steigenden Mieten wieder.

Unter „Allgemeine Vertragsangelegenheiten“, Platz 4 der häufigsten Beratungsthemen, fallen alle Rechtsberatungen, die Rechte und Pflichten aus dem Mietverhältnis als Hintergrund haben, sowie Beratungen im Vorfeld bzw. beim Abschluss des Mietvertrages. Das sind beispielsweise Fragen zur Mietpreisbremse, zu Staffel- oder Indexmieten, zu Wohnungssuche und Wohnungsbesichtigung, zu Wohngemeinschaften, bis hin zu Fragen, ob Tierhaltung erlaubt, die Haustür abends abgeschlossen werden muss oder wie laut gefeiert werden darf.

Mehr als jede 10. Rechtsberatung dreht sich um die Themen „Mietkaution“ und „Schönheitsreparaturen“. Meistens geht es um Fragen, ob und wann der Vermieter die Kaution nach Beendigung des Mietverhältnisses zurückzahlen muss, ob der Vermieter das Kautionsguthaben verrechnen darf, zum Beispiel mit Ersatzansprüchen wegen unterbliebener Schönheitsreparaturen.

Beratungen zur „Vermieterkündigung“ sind fast doppelt so häufig wie Beratungen zum Thema „Mieterkündigung“, typisch für die Entwicklung auf engen Wohnungsmärkten.

Der Beratungsbedarf zum Thema „Modernisierung“ lag 2018 noch bei 3,3 Prozent. Auch wenn nur rund 1 Prozent des Wohnungsbestandes 2018 modernisiert wurde, sorgen drastische Mietpreissteigerungen nach durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen für eine entsprechende Nachfrage nach Beratungen.

 

 Streitgegenstand in Mietrechtsprozessen

2018 2017 2016
1. Vertragsverletzungen 26,8 % 27,4 % 26,7 %
2. Mieterhöhung 21,3 % 16,6 % 17,3 %
3. Betriebskosten 18,1 % 19,4 % 20,9 %
4. Mietkaution 15,3 % 16,2 % 16,1 %
5. Eigenbedarf 6,2 % 5,9 % 5,2 %
6. Fristlose Kündigung 4,9 % 5,5 % 5,0 %
7. Modernisierung 1,7 % 1,8 % 1,9 %
7. Ordentliche Kündigung 1,7 % 1,5 % 1,5 %
9. Schönheitsreparaturen 0,7 % 1,0 % 0,9 %

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